Zusammenfassung

Beim Kompartmentsyndrom des Unterschenkels handelt es sich um einen sehr schmerzhaften und potenziell verheerenden Zustand. Es steht oft im Zusammenhang mit einem Trauma, wie z.B. einer Schienbeinfraktur (Tibia) oder einer Quetschverletzung. Jede Erkrankung, die zu einer starken Schwellung der Unterschenkelmuskulatur führt, kann die Entstehung eines Kompartmentsyndroms begünstigen. Die geschwollenen Muskeln werden durch ein dickes und faserartiges Gewebe (Faszie) begrenzt.

Im Unterschenkel gibt es vier Kompartimente – eines vorne (anterior), eines seitlich (lateral) und zwei hinten (posterior). Wenn das Muskelgewebe übermässig anschwillt, kann es zu einem Zustand kommen, an dem das Blut keinen Sauerstoff mehr an die Muskeln oder Nerven abgeben kann. Dies verursacht starke Schmerzen und kann nach ca. sechs Stunden zum Absterben der Muskulatur führen. Falls dieser Fall eintritt, können sich diese Muskeln nicht mehr erholen. Die Behandlung eines akuten Kompartmentsyndroms erfordert eine sofortige chirurgische Entlastung der einengenden Faszie (Fasziotomie), so dass der Blutfluss und die Sauerstoffversorgung von Muskel und Nerven wieder gewährleistet wird.

Klinische Präsentation

Oft handelt es sich um einen Patienten, der ein hochenergetisches Trauma erlitten hat (Autounfall, Schuss, Sturz von einer Leiter). Durch die starke Schwellung (Abbildung 1) verspürt der Patient nach der Verletzung oder sogar nach einer etwaigen Fixation des gebrochenen Knochens starke Schmerzen im Bein. Im Krankenhaus fallen Patienten mit einem Kompartmentsyndrom typischerweise durch eine verstärkte Nachfrage nach Schmerzmitteln auf.

Bei Patienten mit Polytraumata, einschliesslich eines Schädeltraumas, muss unter Umständen der Druck mit einer speziellen Nadel bestimmt werden. Eine fortlaufende Untersuchung, genaue Beobachtung und der klinischer Verdacht sind für die Früherkennung unerlässlich. Das durch äussere Einwirkung oder durch Bewegung hervorgerufene Kompartmentsyndrom des Unterschenkels kann auch als Folge einer intensiven chronischen Dauerbelastung auftreten. So können sich beispielsweise bei Personen, die einen Marathon mit unzureichender Vorbereitung laufen, Muskelschäden und Schwellungen bilden, welche zu einer Entstehung eines Kompartmentsyndroms führen.

Abbildung 1: Übermässige Schwellung im Zusammenhang mit einem Kompartmentsyndrom (mit freundlicher Genehmigung von Mark Perry MD)

Untersuchung

Die körperliche Untersuchung kann unauffällig sein, auch wenn die klassischen Anzeichen sehr auffällig sind. Das Leitsymptom sind starke Schmerzen im Unterschenkel, wenn der Arzt die Muskeln in diesem Bereich bewegt. Beispielsweise führt das Bewegen des Knöchels oder der Zehen zu unerträglichen Schmerzen. Taubheitsgefühle im Fuss und sogar ein Verlust des Pulses können auftreten. Bei der Palpation des Beines ist das betroffene Muskelfach nicht weich und „verschiebbar“ sondern „steinhart“.

Bildgebung und Untersuchungen

Es gibt keine spezifische bildgebende Untersuchung, die ein Kompartmentsyndrom diagnostizieren kann. Eine Röntgenaufnahme kann jedoch eine mögliche Fraktur zeigen, die allenfalls zu einem Kompartmentsyndrom führen kann. Die Messung des Drucks mit einer drucksensitiven Nadel bestätigt die Diagnose. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Druck zu interpretieren. Entweder mittels der absoluten Zahl oder durch ihr Verhältnis zum Blutdruck.

Behandlung

Bei bestätigtem oder klinisch vermutetem Kompartmentsyndrom erfolgt die Behandlung durch ein chirurgisches Durchtrennen der Beinfaszien. Die Muskeln wölben sich anschliessend nach aussen (Abbildung 2; beachten Sie die dunklere Farbe des Muskels, der sich durch die weisse Faszie wölbt). Muskeln, die nicht gesund erscheinen, werden entfernt. Nach dem Lösen der engen Faszien werden die Muskeln und Nerven mit ausreichend sauerstoffreichem Blut versorgt, um das Gewebe am Leben zu erhalten.

Dieser Eingriff muss schnellstmöglich durchgeführt werden. Oftmals ist es aufgrund der übermässigen Schwellung nicht möglich, die Schnittwunde zu schliessen (Abbildung 3). Ein steriler Verband wird auf die Wunden aufgebracht und der Patient kann zu einem späteren Zeitpunkt erneut operiert werden, um zusätzliche Muskeln zu entfernen, verzögerte Wundheilung zu behandeln oder eine Hauttransplantat durchzuführen.

Folgen des Kompartmentsyndroms

Tritt ein Kompartmentsyndrom auf und kommt es zum Absterben der Muskulatur, wird das Gewebe in diesem Bereich dauerhaft geschädigt. Eine starre Position des Fusses oder des Knöchels erfordert u.U. eine erneute Operation, mit dem Ziel, den Fuss in eine bessere Ausrichtung zu bringen. Der Fuss kann je nach betroffenem Kompartiment nicht nach oben oder unten und innen gebeugt werden. Eine Schädigung der Nerven kann zu Schmerzen oder erhöhter Empfindlichkeit führen.

Um Spätfolgen zu vermeiden, sollte das akute Kompartmentsyndrom notfallmässig behandelt werden.