(Periostitis tibiae)

Zusammenfassung

Patienten die unter einem Schienbeinkantensyndrom leiden, haben Schmerzen an der Vorderseite ihres Schienbeins. Die Beschwerden können sich bei bestimmten Aktivitäten oder nach längerer Ruhezeit (z.B. morgens nach dem Aufstehen) verschlimmern. Ursächlich ist oft ein Anstieg des Aktivitätsniveaus. Die Behandlung beinhaltet u.a. Ruhe, Kühlen, entzündungshemmende Medikamente, leichtes Dehnen und Änderung der Bewegungsgewohnheit.

Klinische Präsentation

Schmerzen an der Vorderseite des Schienbeins (Tibia) sind das wesentliche Merkmal des Schienbeinkantensyndroms. Diese Schmerzen sind typischerweise über einen breiten Bereich an der unteren Innenseite (medial) des Schienbeins lokalisiert. Das Schienbeinkantensyndrom wird oft mit einer gesteigerten Aktivität, wie beispielsweise langes Laufen auf hartem Untergrund, einem neuen Trainingsplan oder einer langen Wanderungen in Verbindung gebracht. Initial können sich die Beschwerden durch Aktivität verbessern. Bei länger dauernden Betätigungen verschlechtert sich die Symptomatik jedoch. Anlaufschmerzen (Schmerzen am Morgen oder nach längerem Sitzen) sind häufig.

Das Schienbeinkantensyndrom entsteht, wenn die vom Unterschenkelknochen (Tibia) ausgehenden Muskeln gereizt werden. Der Ansatzpunkt an der äusseren Schicht des Knochens (Periost) entzündet sich (Periostitis), da die Muskeln wiederholt daran ziehen. Die beteiligten Muskeln befinden sich im „vorderen Kompartiment“. Dazu gehört der M. tibialis anterior, der M. extensor hallucis longus (zieht den grossen Zehen nach oben) und der M. extensor digitorum longus (zieht die kleineren Zehen nach oben). Bei einigen Patienten kann auch ein Muskel (M. tibialis posterior), welcher an der Innenseite und am hinteren Teil des Schienbeins (Tibia) befestigt ist, die Beschwerden verursachen.

Das Schienbeinkantensyndrom muss von einem Ermüdungsbruch der Tibia abgegrenzt werden, welche durch mikroskopische Frakturen entsteht. Im Allgemeinen verursacht eine Stressfraktur im Gegensatz zum Schienbeinkantensyndrom vermehrt lokale Schmerzen. Unter gewissen Umständen wird eine Bildgebung für die Differenzierung benötigt.

Körperliche Untersuchung

Eine generalisierte Schmerzempfindlichkeit entlang des Schienbeins ist ein häufiger Befund. Gelegentlich kann eine Schwellung oder sogar eine Rötung auf der Vorderseite des Schienbeins beobachtet werden. Zusätzlich besitzen viele Patienten eine verkürzte Wadenmuskulatur. Dadurch übt die Muskulatur eine erhöhte Zugkraft auf die Vorderseite des Knochens (Tibia) aus.

Bildgebung

Röntgenaufnahmen der Unterschenkelknochen (Tibia bzw. Fibula) können angeordnet werden, um eine Stressfraktur auszuschliessen. In den meisten Fällen sind diese jedoch unauffällig.

Zusätzlich kann auch eine MRT hilfreich sein, um eine Überlastungsfraktur auszuschliessen. Häufig kommt es zu einem lokalisierten Ödem (charakterisiert durch eine erhöhte Durchblutung) am Ansatzpunkt der Muskulatur. Bei Patienten mit einer Stressfraktur des Schienbeins, ist ein lokales Ödem im Knochen selbst ersichtlich.

Ev. muss wird eine Szintigrafie (SPECT-CT) erfolgen, um die Diagnose zu bestätigen. Eine Szintigrafie beinhaltet eine Injektion, welche mit schwach radioaktiven Teilchen angereichert wurde. Bei Patienten mit einem Schienbeinkantensyndrom kommt es in der Regel zu einer nur leicht erhöhten Aktivität in der Szintigrafie. Dies ermöglicht die Abgrenzung zu einer Stressfraktur des Schienbeins, welche einen sehr lokalisierten, hoch aktiven Bereich mit Beteiligung des Knochens aufweist.

Behandlung

Die Therapie besteht aus einer Phase der Heilung, in der die Beschwerden abnehmen, gefolgt von einer Phase der Rehabilitation, um den betroffenen Bereich wieder aufzubauen und das Rezidiv-Risiko gering zu halten.

Relative Ruhe
Alle die Beschwerden auslösenden Aktivitäten sollten gestoppt werden und der Patient sollte nur noch beschränkt Gehen und Rennen, bis sich die Symptome beruhigen. Dieser Zustand wird im Wesentlichen durch repetitive Mikrotraumen am Ansatzpunkt der Muskeln am Knochen verursacht. Eine wichtige Komponente in der Behandlung des Schienbeinkantensyndroms, ist das Stoppen von Beschwerde-verursachenden Aktivitäten. Als Ersatz können relativ nicht belastende Aktivitäten, wie Schwimmen und Radfahren, durchgeführt werden.

Kühlung
Das Auflegen von Eis auf die Vorderseite des Schienbeins in einem Zeitintervall von 10-15 Minuten kann dabei helfen, die Beschwerden und die Entzündungsreaktion des Körpers zu verringern.

Sanftes Dehnen
Ein sanftes Dehnen der Muskulatur an der Vorderseite des Unterschenkel (vorderes Muskelkompartiment), durch drücken des Fusses nach unten, sollte für jeweils 30-60 Sekunden erfolgen, 4-5 mal hintereinander wiederholt und 2-4 täglich durchgeführt werden.  Darüber hinaus sollte auch die Wadenmuskulatur gedehnt werden.

Entzündungshemmende Medikamente
Eine befristete Einnahme von entzündungshemmenden Medikamenten (NSAR) kann bei der Behandlung der Beschwerden sehr wirksam sein. Sie sollten jedoch nicht verwendet werden, um die Symptome zu überdecken (d.h. den Umfang des Trainings zu erhöhen), da dies dazu führen kann, dass die Beschwerden chronifizieren.

Rehabilitationsphase
Nachdem die Symptomatik abgeklungen ist, sollten die Patienten mit der Rehabilitationsphase beginnen, um allmählich das gewünschte Aktivitätsniveau wieder zu erreichen. Das Schienbeinkantensyndrom hat die Tendenz zu rezidivieren. Deshalb sollte präventiv Massnahmen ergriffen werden, um das Risiko eines Rezidivs so gering wie möglich zu halten.

Kontinuierliche Dehnung
Dehnen der Unterschenkelmuskulatur ist ein wesentlicher Bestandteil der Bekämpfung der mit Schienbeinen verbundenen Beschwerden.

Wärme
Eine Erwärmung der Schienbeine kann sich positiv auswirken, insbesondere in der Aufwärmphase vor dem Training.

Stützstrümpfe für die Wanden („Kompressionsstrümpfe“)
Durch Kompressionsstrümpfe wird ein sanfter Druck auf die Unterschenkelmuskulatur ausgeübt. Dies kann dabei helfen, die Kräfte, welche die Muskulatur auf den Knochen ausüben, zu dämpfen. Darüber hinaus tragen sie dazu bei, die Wärme in der Umgebung zu behalten. Dieses Hilfsmittel mag zwar nicht für alle geeignet sein, aber ein Versuch lohnt sich.

Bandagieren
Einige Patienten profitieren von einem Bandagieren der Schienbeine. Dabei wird versucht, die Kräfte, welche die Muskulatur auf den Knochen ausüben, zu reduzieren.

Stossdämpfende Schuhe und Einlagen
Das Verwenden von Schuhen und Einlagen mit erhöhter Stossdämpfung kann dabei helfen, die repetitive Belastung auf das Schienbein zu verringern.

Mediale Fussbogenstützen
Patienten mit einem Plattfuss und Schmerzen an der unteren Innenseite des Schienbeins können von einer freistehenden (vorgefertigten) medialen Fussbogen-Unterstützung profitieren.

Schrittweise Wiederaufnahme der Aktivität
Ein allmähliches steigern der sportlichen Aktivitäten ist unerlässlich, um das Risiko eines Rezidivs so gering wie möglich zu halten.