Die Biomechanik des Ganges und Fussschmerzen beim Gehen
Die Biomechanik des Ganges hilft uns zu verstehen, weshalb wir beim Gehen oder Laufen Fussschmerzen bekommen. Der Fuss fungiert als Stossdämpfer beim Auftreten des Körpers auf den Boden. Nach Auftreten wird er zum starren Hebel, damit der Körper vorwärtsbewegt wird. Die Kräfte, die während eines normalen Schrittes auf und durch den Fuss wirken, sind sehr gross und machen oftmals ein Vielfaches des Körpergewichts aus. Diese Kräfte können Fussschmerzen, die durch Arthritis, Sehnenentzündungen oder Ähnliches entstehen, verstärken.
Die 5 primären Gründe des Gehens sind:
- Ziel: Der erste Grund des Gehens ist, den Körper nach vorwärts in Richtung des gewünschten Zieles in gewünschter Geschwindigkeit zu bewegen.
- Ziel: Das zweite Ziel des Gehens ist das Aufbringen der geringstmöglichen Energie, um das erste Ziel zu erreichen. Dies tut der Körper u.a. durch Bewegung des Körpers in einer möglichst graden Linie. Beim Gehen ist dabei eine energie-effiziente Bewegung, den Körper wenigst möglich auf und ab zubewegen.
- Ziel: Das dritte Ziel beinhaltet den geringstmöglichen Schmerz bei Menschen mit Fusserkrankungen auszulösen. Das menschliche Gehirn hat eine Vielfalt an Strategien, um dieses Ziel zu erreichen; zum Beispiel auch weniger Druck auf den schmerzenden Fuss auszuüben oder die Fussposition zu verändern, um Schmerzen zu verringern.
- Ziel: Das vierte Ziel ist das Gehen auf unebenem Terrain und die entsprechende Anpassung des Fusses, wobei die einwirkende Kraft des auftretenden Körpers gleichmässig verteilt wird.
- Ziel: Das fünfte Ziel wird dadurch erreicht, dass der Fuss am Ende der Phase des Auftretens, einen starren Hebel bildet, um den Körper vorwärtszutreiben.
Eine Möglichkeit, sich die Phasen resp. den Ablauf des Gehens vorzustellen, ist, sich vorzustellen was mit dem Fuss während des Ganges passiert. So teilt man den Gang in zwei Phasen: die Standphase und die Schwungphase.
Die Standphase beschreibt die Zeit, in welcher der Fuss den Boden berührt. Sie beträgt ca. 60% des Gehzyklus. Dabei sind während eines Teils der Standphase beide Füsse für eine gewisse Zeit auf dem Boden. Beim Laufen wird diese Standphase verkürzt. Dies führt zur Bildung der Schwebephase, bei welcher während einer kurzen Zeit beide Füsse den Boden nicht berühren.
Die Schwungphase tritt dann ein, wenn ein Fuss auf dem Boden und der andere in der Luft ist. Der sich in der Luft befindende Fuss wird als «in der Schwungphase des Ganges» beschrieben.
Stadien der Standphase
Eine einfachere und genauere Möglichkeit, die Standphase des Gehens darzustellen, ist die Betrachtung der Standphase in fünf verschiedenen Unterphasen, die ein einzelner Fuss durchläuft. Diese sind:
- Fersenauftritt
- Früher Fussaufsatz
- Später Fussaufsatz
- Fersenanhebung
- Zehenabstoss
Die Fersenauftrittsphase beginnt dann, wenn die Ferse das erste Mal den Boden berührt, und dauert an, bis der gesamte Fuss den Boden berührt (frühe Fussaufsatzphase)
Frühe Fussaufsatzphase
Der Beginn dieser Phase wird als Moment definiert, wenn der gesamte Fuss den Boden berührt. Das Ende tritt dann ein, wenn der Schwerpunkt des Körpers über den Fuss hinweg verlagert wird. Dieser Schwerpunkt liegt, wenn wir stehen und gehen, vor der unteren Wirbelsäule im Beckenbereich. Die Hauptaufgabe dieser Phase besteht darin, dem Fuss zu ermöglichen, den Fuss als Stossdämpfer einzusetzen und das Körpergewicht abzufedern.
Späte Fussaufsatzphase
Überschreitet der Körperschwerpunkt die neutrale Position, beginnt die späte Fussaufsatzphase. Diese endet dann, wenn die Ferse den Boden verlässt. In ebendieser Phase wird der Fuss zum starren Hebel, der den Körper vorwärtstreibt.
Fersenanhebung
Sie beginnt, wenn die Ferse den Boden verlässt. In dieser Phase wird der starre Hebel. Die Kräfte, die durch den Fuss gehen sind während dieser Phase ausgeprägt und betragen zwei bis dreimal des Körpergewichts. Dies liegt an der Wirkung des Fusses als Hebelarm mit dem Fokus auf dem Knöchel, der die Körpergewichtskräfte verstärkt. In Anbetracht dieser Tatsache ist es nicht verwunderlich, dass der Mensch beim täglichen Gehen von 3000-5000 Schritten (aktive Menschen gehen gewöhnlich 10’000 Schritte) Fussschmerzen entwickeln kann. Chronische, wiederholte Belastungsprobleme können die Ursache von Metatarsalgie, Hallux valgus, Tibialis posterior-Sehnen-Fehlfunktion, Peronealsehnenentzündung und Sesamoiditis sein.
Zehenabstoss
Diese Phase beginnt, wenn die Zehen den Boden verlassen. Ab hier beginnt die Schwungphase.
Laufen
Biomechanisch wird das Gehen vom Laufen unterschieden. Dies besonders, da es beim Laufen eine Phase gibt, in der beide Füsse den Boden nicht berühren (Schwebephase). Da Laufen allgemein mit höheren Geschwindigkeiten verbunden ist, können die Kräfte, die durch den Fuss wirken, wenn er auf den Boden auftritt, deutlich grösser sein, als dies beim Gehen der Falls ist (das vier bis fünffache des Körpergewichts beim Gehen, sogar sechs bis siebenfache beim Rennen).
Bewegung der Hauptgelenke während des Gehens
Es bewegen sich zahlreiche Gelenke im Fuss und Knöchel während des Gehens, wobei diese wichtigen Funktionen erfüllen. Das Sprunggelenk sowie das Subtalargelenk und das Chopart-Gelenk sind für die normale Biomechanik des Gehens entscheidend. Das Chopart-Gelenk ist kein einzelnes Gelenk, sondern die Kombination aus dem Talonaviculargelenk und dem Calcaneocuboidgelenk (beides Gelenke der Fusswurzel resp. des unteren Sprunggelenks, Abb. 1.). Die Kombination aus diesen beiden Gelenken und dem Subtalargelenk ermöglicht es dem Fuss, unter dem Talus zu schwenken und je nach Gelände entsprechend zu positionieren.
Oberes Sprunggelenk
Dieses Gelenk ermöglicht die Dorsalflexion und die Plantarflexion. Hierbei sind die Muskeln an der Vorderseite des Beins für die Aufwärtsbewegung und die Muskeln an der Rückseite des Beins für das Herunterziehen des Fusses verantwortlich.
Subtalar und Chopart-Gelenk
Das Chopart-Gelenk besteht aus dem Talonavicular- und dem Calcaneocuboidgelenk. Zusammen mit dem Subtalargelenk ermöglicht es die oben beschriebene Funktion, wie auch die seitlichen Bewegungen. Da es aus zwei Gelenken besteht, kann es je nach Phase des Gehzyklus entweder locker-beweglich (frühe Fussaufsatzphase) oder starr (späte Fussaufsatzphase und Fersenanhebung) sein. Wenn die Gelenkachsen der beiden beteiligten Gelenke parallel sind, so ist das Chopart-Gelenk beweglich. Wenn diese nicht parallel sind, wird das Chopart-Gelenk starr und verhindert Bewegungen durch das Gelenk (späte Fussaufsatzphase und Fersenanhebung). Dieses Verriegeln und Entriegeln ist für den normalen Gehzyklus wichtig. Berührt die Ferse den Boden, wird das Sprunggelenk sanft auf den Boden abgesenkt und das Chopart-Gelenk verriegelt. Während der frühen Fussaufsatzphase entriegelt das Gelenk, wodurch der Fuss beweglich wird. Dies erlaubt die Stossdämpfungsfunktion. Ist der Körperschwerpunkt in der neutralen Position resp. überschreitet er diese, zieht die Tibialis posterior-Sehne an diesem Gelenk, verriegelt es und bildet so den starren Hebel, der den Körper vorwärtsbewegt.
Wie die Muskeln während des Gehens funktionieren
Fersenauftritt und früher Fussaufsatz
Während des Fersenauftritts sowie der frühen Fussaufsatzphase ist das vordere Kompartiment des Unterschenkels am aktivsten. Der M. tibialis anterior, der M. extensor hallucis longus und der M. extensor digitorum longus arbeiten durch ihre Muskelfunktion daran, den Fuss sanft auf den Boden auftreten zu lassen. Bei einer Funktionsstörung dieser Muskeln, wie es bei einer Fusshebeschwäche der Fall ist, neigt der Fuss dazu, beim Aufsetzen auf den Boden zu schlagen.
Späte Fussaufsatzphase – Fersenanhebung
Ist der Körperschwerpunkt über den Fuss hinwegbewegt, beginnen die Wadenmuskeln zu kontrahieren. Dies dient dazu, die Körperbewegung nach vorne zu kontrollieren, damit der Körper nicht nach vorne fällt. Während dieser Phase kontrahiert sich die Wadenmuskulatur stark und verlängert sich gleichzeitig. Benannt ist dies als exzentrische Muskelkontraktion und erzeugt eine hohe Menge an innerer Kraft innerhalb der Wadenmuskulatur und der Achillessehne. Daher treten die meisten Achillessehnenrisse und Wadenmuskelverletzungen in dieser Gangphase auf. Der M. tibialis posterior kontrahiert sich während der späten Fussaufsatzphase und verriegelt so die Gelenke, wodurch der starre Hebel entsteht. Daher haben Patienten mit einer Tibialis posterior-Sehnen-Dysfunktion oft einen Plattfussgang mit eingeschränkter oder fehlender Fersenanhebung.
Fersenanhebung – Zehenabstossung
Während der Phase der Fersenanhebung kontrahiert die Wadenmuskulatur weiterhin, verkürzt sich jedoch nun, anstatt sich zu verlängern. Dies wird konzentrische Kontraktion genannt. Dies dauert bis zur Zehenabstossung an.
Abnormale Gangprobleme
Antalgischer Gang (schmerzhaftes Gehen)
Hauptmerkmal des antalgischen resp. schmerzhaften Gangs ist die verkürzte Zeit in der Standphase. Dies rührt daher, dass Menschen mit Schmerzen nicht mehr Zeit als effektiv nötig, den Fuss belasten. Die Standphase ist normalerweise gleichmässig auf beide Beine verteilt, wobei Menschen mit verletztem Fuss deutlich weniger Zeit auf dem verletzten Fuss verbringen (20-30% anstelle von 50% ihres Ganges). Ein weiteres Zeichen für den schmerzhaften Gang ist die verkürzte Schrittlänge. Dies resultiert aus der geringeren Kraftaufwendung beim Fussabstossen. Daher ist ein Schritt tendenziell länger.
Hoher Steppgang
Der hohe Steppergang ist ein weiteres Beispiel für einen abnormalen Gang. Dies tritt bei Patienten auf, deren Muskeln des vorderen Kompartiments nicht normal funktionieren (z.B. Patienten mit Fusshebeschwäche). Die Funktionsstörung der vorderen Muskelgruppe führt dazu, dass der Fuss während der Fersenauftrittsphase auf den Boden schlägt. Patienten reagieren meist mit einer stärkeren Kniebeugung während der Schwungphase, um den Fuss höher vom Boden abzuheben, da dieser als Fallfuss nach unten hängt. Eine mögliche Behandlungsart ist das Anlegen einer «Heidelberger-Schiene». Es handelt sich hierbei um eine starre Schiene mit 90°-Winkel.